Bericht unserer Austauschschülerin Marie Grzenia aus Venezula   10. Januar 2011 September & Oktober Es ist sehr schwer, die Gedanken zu ordnen. Der Austausch ist wie der Beginn eines neuen Lebens &  ebenso schwer zu beschreiben, wie wenn jemand verlangen würde, ich sollte mein Leben in  Deutschland beschreiben, & zwar verständlich & übersichtlich. Das ist unmöglich. Aber ich kann  versuchen, meine Eindrücke möglichst exakt & wahrheitsgetreu zu schildern & einen kleinen Einblick in  mein Leben geben. Wobei alles natürlich immer subjektiv sein wird. Ich werde einfach bei meinem Abschied am Flughafen beginnen, denn das war ja schließlich der Anfang meiner Reise. Und er war so schwer, wie ich es niemals in meinem Leben gedacht hätte. Meine Familie hat mich begleitet, wir waren insgesamt sechs Personen. Es war gut, dass es so viele  waren, denn so konnten sie sich gegenseitig ein wenig ablenken, von dem was kommen musste. Natürlich war es tränenreich & traurig & verzweifelt. Aber genauso sollte das sein, denn dann geht man  mit dem Gefühl in den Austausch, dass hinter einem in Deutschland die Menschen stehen, die einem  den Rücken stärken & denen man so viel bedeutet, dass sie um einen weinen. Das ist schließlich das  beste Gefühl, dass man als letztes mit seinem Heimatland verknüpfen kann. Als ich durch das Gate gegangen bin, habe ich mich mit Tränen in den Augen gezwungen, nach vorne zu blicken. Klingt theatralisch. War es aber auch irgendwie. Es war immerhin das Ende eines  Lebensabschnittes. Allerdings ging das auch schneller wieder weg als erwartet, denn ich war schließlich nicht die einzige. Und nachdem wir Austauschschüler unsere Wartezeit damit verkürzt haben, uns  unsere Abschiedsgeschenke zu zeigen, wussten wir schließlich alle, dass wir nicht alleine sind. Der Flug war begleitet von Aufbruchstimmung & Abenteuerlust, Vorfreude & zahlreichen Tränen. Ich  persönlich habe Tagebuch geschrieben, die einzige Möglichkeit, irgendwie mit dem Chaos in meinem  Kopf klarzukommen. Aber irgendwie haben wir uns alle gegenseitig Halt gegeben & Mut gemacht. & als dann nach 10  Stunden endlich der Flughafen von Caracas in Sicht kam, einfach nur eine Welle der Erleichterung. Das  erste Mal erhaschten wir einen Blick auf die Karibik & sahen direkt einmal Delfine im hellblauen Wasser. Die Nervosität kam erst bei der Pass- & Visakontrolle. Wir wussten schließlich alle, dass Venezuela ein Ausnahmeland ist & das nicht unbedingt im positiven Sinne. Das wir uns auch noch in der gefährlichsten Stadt der Welt befanden, machte die Sache nicht besser. Am Flughafen war das erste, was wir sahen,  ein riesiges Plakat Hugo Chavez´ mit dem Slogan „Patria socialista o muerte“ (sozialistisches Vaterland oder Tod) & darunter Soldaten, die uniformiert mit ihren Maschinengewehren dagestanden & böse  geguckt haben. Da kann einem schon mal mulmig werden. Ein anderes Problem war der Zoll, denn natürlich wollte niemand kontrolliert werden. Aber wir sind alle  durchgekommen & mit jeder Sekunde ist die Anspannung gestiegen. Wie sind meine Gasteltern? Wie werde ich empfangen? Wie finde ich die? Werde ich ihren Ansprüchen  gerecht? Werden die meinen Ansprüchen gerecht? Stimmt die Chemie? Fragen über Fragen während ich meinen Koffer durch die Kontrolle schob & hinter einer Glastür die  Menge erspähen konnte, die die Neuankömmlinge erwartete. Als ich dann ein grünes Plakat mit der  deutschen Fahne, meinem Namen & einem dicken Herz erspäht habe & darunter weinend meine  Gastmutter, war alles wie weggeblasen. Die Müdigkeit, die Nervosität, die Anspannung. Ich bin durch die Glastür gegangen & das erste was ich hörte, waren Bongos. Mein Gastvater kam mir durch die  Absperrung entgegen & hat mir meine zwei Riesenkoffer abgenommen. Da hatte ich nur noch meine  Geige, meinen Rucksack & meine Tasche & das Gefühl zu fliegen, weil alles so leicht war. Die Begrüßung war typisch venezolanisch; feste drücken, Küsschen & lachen. Ich habe fast kein Wort verstanden, alles haben durcheinander geredet & versucht, die Austauschschüler irgendwo einzusortieren & zu begrüßen. Eigentlich war es so viel auf einmal, dass ich die Hälfte schon  vergessen habe.   Sehr genau erinner ich mich aber noch an das erste „Bienvenida en Venezuela, Marie, yo soy tu mamá y asi puedes llamarme, como estas?“ (Herzlich Willkommen in Venezuela, Marie, ich bin deine Mama & so kannst du mich auch nennen, wie geht es dir?) & meine Antwort, die nur aus „ Estoy cansada pero muy bien, gracias, mamá“ (Ich bin müde, aber es geht mir super gut, danke, Mama) bestand & alle total aus  dem Häuschen waren, weil ich Spanisch spreche. Danach ein Foto, noch eins, noch eins, mit dem Präsidenten des einen Clubs, des anderen, dem  Chairman, der Familie, dieser Familie, & noch eins, natürlich. & selbstverständlich die Verabschiedung  der anderen, die mit der Versicherung, uns bald zu schreiben & in Kontakt zu bleiben einherging. Als wir den Flughafen verlassen haben, war das erste, was ich bewusst von Venezuela mitbekommen  habe, Hitze & Palmen. Es war einfach unheimlich heiß, nachmittags drei Uhr, strahlende Sonne & ich  kam aus dem kalten Deutschland. Die Flagge Venezuelas flatterte über meinem Kopf & ich kam mir  irgendwie vor, wie ein Tourist, so unwirklich war das alles. Ich konnte nicht realisieren, dass ich hier jetzt für ein Jahr lebe, mit den Menschen, die neben mir gingen & nur mit den Sachen in meinen Koffern. Von dem einen Flughafen ging es in den nächsten, & langsam war ich einfach nur müde. Fünf Uhr  nachmittags & ich wollte schlafen. Das Jetlag & die drei schlaflosen Tage davor machten sich bemerkbar. Meine Familie war emotional sehr gespalten, auch wenn sie sich größte Mühe gaben, das zu verbergen. Aber ihre Tochter saß schließlich in dem Flieger, in dem ich gekommen bin nach Deutschland, es war  verständlich. Aber das meine Mutter anfing zu weinen, als er abhob & nicht zu trösten war, machte die  ganze Sache nicht leichter. Aber dann überwog einfach nur die Müdigkeit, die Erschöpfung & die  Tatsache, eine neue Tochter zu haben. Das Wochenende haben wir dann in Maracaibo verbracht, bei meinen Großeltern. Dazu muss man  sagen, dass die Menschen dort einen sehr starken Akzent haben, ich also nur dasaß genickt habe & ja  gesagt, weil ich absolut nichts verstanden habe. Da bekam ich die erste Panik, mit der Sprache nicht klar zu kommen, was sich aber als absolut lächerlich herausgestellt hat, zum Glück. Das Wochenende war eine typische Touristenattraktion, damit ich die Stadt kennen lerne & schon mal  einen Einblick in die venezolanische Kultur bekomme. Als wir dann nach San Cristobal gefahren sind, sechs Stunden lang, konnte ich nicht anders, als mir  sechs Stunden die Nase an der Fensterscheibe plattzudruecken. Palmen über Palmen, kleine Dörfer mit bunten Häusern, Menschen, Straßenverkäufer, Papageien. Alle halbe Stunde eine neue Landschaft, alle halbe Stunde ein neuer Eindruck. & eine neue Militärkontrolle. Ich glaube noch nie in meinem Leben ist eine Reise, eine Fahrt so spannend & so schnell vorbei  gewesen. Dann endlich die Stadt, die meine Heimat werden sollte. Ueber eine Bergkuppe & lag sie, eingeschmiegt in die Anden. San Cristobal. Meine erster Eindruck? Aus der Ferne einfach nur atemberaubend. Aus der Nähe? Ein Moloch. Müll, der Fluss verdreckt, Ranchos. Im Supermarkt gab es keine Milch, weil der Präsident die Milchproduktion in meinem Bundesstaat  eingeschränkt hat. Überall Gitter vor den Fenster, Lastwagen voller Soldaten. Man gewöhnt sich an all  diese Sachen. Aber wenn man sie zum ersten Mal erlebt, direkt hautnah & so viele auf einmal, kriegt  man einfach nur einen Schock. Mein Haus liegt auf einem Berg, etwas abseits vom Zentrum, meine Schule ist zwei Minuten zu Fuß  entfernt, gegenüber ist ein Krankenhaus, aber alles in allem eine eher ruhigere Gegend. Wenn man in  einer Großstadt von „ruhig“ sprechen kann. Mein Zimmer ist klein, aber ganz niedlich, es reicht auf jeden Fall & nach und nach wird es mehr und mehr meines, Erinnerungsstücke & Erinnerungen sammeln sich an. Wenn ich jetzt auf meine vier Wochen Ferien, die ich nach meiner Ankunft noch hatte, zurück blicke,  muss ich sagen, ich habe eigentlich nichts gemacht, & ziemlich viel. Die erste Woche war hart, jeden Tag neue Gesichter, Freunde meiner Gastschwester in Deutschland, meiner anderen Schwester, meiner  Mutter, Familie, Bekannte & alle Welt wollte mich kennenlernen. Die Stadt besichtigen, die Gegend & die Anden auch ein wenig. Erstes Rotarytreffen, & ich muss sagen, mein Club ist einfach nur fantastisch, alle so aufgeschlossen & freundlich. Nun ja, das ist Venezuela. Die Ferien waren gut, um sich an alles zu gewöhnen, auch wenn man sehr sehr viel Zeit für sich hat &  sehr viel Zeit um an zu Hause zu denken. Ich bin im Nachhinein froh, dass ich mein Heimweh so früh & so heftig hatte. Umso besser ist es jetzt.  Aber in diesem Moment wollte ich nichts anderes, als nach Hause, in den nächsten Flieger steigen &  heim. Es war alles so anders. Alles. Ich war sogar schon froh, wenn ich eine Packung Pringles sah, die  mir irgendwie noch vertraut erschienen ist. & die Gesellschaft hier ist nun mal gespalten. Das wusste ich vorher, aber natürlich denkt man da nicht  so drüber nach & sieht nur die schönen Seiten. Ich habe am Anfang nur die hässlichen gesehen. &  gedacht, nie wirst du in einem Land mit so einer Ungerechtigkeit leben können. Ich WOLLTE es auch gar nicht. Ich wollte mich nicht dran gewöhnen, weil man sich an Armut nicht gewöhnen sollte. Es gab einfach immer wieder Sachen, die mich regelrecht geschockt haben, wie zum Beispiel, dass es  im Supermarkt keine Milch zu kaufen gab, das man irgendwie seiner Freiheit beraubt ist & abhängig von Autos ist, weil es zu gefährlich ist, zu Fuß zu gehen. Dass in den Nachrichten Mitteilungen kommen,  dass 200m weiter Menschen in der Bäckerei erschossen wurden. Oder die Wahlen hier, die keine waren. Dieser Tag war hochinteressant & schockierend zugleich. Zu  sehen, wie die Politik hier funktioniert oder eben nicht funktioniert, die Emotionen der Leute, die  Hoffnung & dann die Ungläubigkeit nach den Ergebnissen. Wir haben bis nachts drei Uhr auf die  Wahlauszählung gewartet & alle konnten nichts anderes tun als bangen, nichts war Ablenkung genug. Ich bin froh, dass ich das habe mit erleben dürfen. Und die Wahrheit ist letztendlich doch,dass alles eine Sache der Gewohnheit ist. Routine kommt & irgendwann sieht man solche Sachen nicht mehr, weil es  eigentlich nichts bringt, sich immer von so etwas betrüben zu lassen. Meine Schule begann dann endlich am 02. Oktober. Ich wollte auch endlich Routine bekommen, sehen,  wie mein Jahr weiter verläuft & einen mehr oder weniger normalen Alltag. Der erste Schultag war fantastisch. Ich kannte die Lehrer schon, weil ich in den Ferien mit meiner  Familie die Schule besichtigen war & wurde dann erst einmal mit Küsschen auf die Wange begrüßt.  Meine Klassenkameraden rissen sich nach meiner eineinhalbstündigen Vorstellungsmonolog darum,  dass ich neben ihnen sitze, alle bestürmten mich mit Fragen & ich bin ehrlich gesagt noch immer nicht  richtig zur Ruhe gekommen, weil man immer Zeit braucht, seine gesamte Schule kennen zu lernen. Aber ich bin sehr froh & glücklich, dass ich so herzlich aufgenommen werde, auch wenn es manchmal  schon zu viel Aufmerksamkeit ist & man nur mal Zeit für sich will oder auch alleine auf Toilette. Aber es  war wohl nicht anders zu erwarten, wenn man nun mal die einzige blauäugige & nicht braun- oder  schwarzhaarige Person der Schule ist. Und so ist es schließlich besser, als nicht akzeptiert zu werden, sage ich mir immer. Die Schulfächer sind nicht sehr schwer, weil ich die Dinge teilweise schon in Deutschland hatte & in den Fächern, die mich nicht interessieren, unterrichte ich die 6-8 jährigen meiner Schule in Englisch. Meine  Direktorin bat mich darum, weil es jetzt endlich einmal die Chance gibt, ein wenig diese Sprache zu  lernen, die hier einfach viel zu kurz kommt. Es macht mir so viel Spaß, dass ich mittlerweile angefangen habe, den Englischunterricht in meiner Klasse ebenfalls zu übernehmen. Donnerstags gehe ich mit 7 meiner Stufenkameraden zur „labor social“, eine Aktion, die jede Schule  macht, um ehrenamtlich tätig zu werden mit freiwilligen, die dann pro Monat 40 Stunden arbeiten  müssen. Ich habe mich für Reittherapie mit autistischen Kindern entschieden. Natürlich ist es nicht  einfach & anfangs war es nur wieder eine Sache, die mich emotional sehr mitgenommen hat. Aber zu  wissen, dass man etwas tut, dass man hilft, weil man es will & diese Kinder dann einfach für ein paar  Momente dann glücklich & fast normal zu sehen, ist alles wert & eines der schönsten Erlebnisse, die ich hier gemacht habe. Ich freue mich jedes Mal aufs neue darauf, weil mir die Kinder mit jedem mal vertrauter werden, mich in  ihre Welt lassen & es von Anfang eine gemeinsame Ebene gibt, weil wir beide irgendwie fremd sind in  diesem Land. Generell ist auch mein Rotary-Club hier sehr engagiert. Wir veranstalten internationale Festivitäten,  fahren an manchen Wochenenden in die Berge um einzelne Dörfer mit den nötigsten Sachen zu  versorgen & die Kinder zu belustigen, & selbst wenn es nur so einfach sind, wie Uniformen zu spenden,  damit die Kinder in die Schule gehen können, ist es doch jedes mal gut fürs Herz zu wissen, dass man  etwas tut. Ich bin jetzt ebenfalls Mitglied bei Rotaract, der Jugendorganisation von Rotary für die Unter-  18-jährigen, mit der wir uns wie die normalen Rotaries wöchentlich treffen, über Dinge reden &  Veranstaltungen planen, die dann gemeinsam mit dem großen Club durchgeführt werden. Meine Familie hier ist einfach nur fantastisch. Der Anfang war für uns beide hart, für mich, neu in diesem Land & für sie, ohne ihre eigentliche Tochter. Aber wir haben uns gegenseitig geholfen & uns gegenseitig Mut gemacht & mittlerweile geht es uns einfach nur gut. Sie bemühen sich, mir alles so einfach & so  schön wie möglich zu machen, lassen mir fast alles Optionen & sind einfach nur herzlich. Ich kann mir  keine bessere Familie vorstellen. Manchmal sitzen wir einfach nur den gesamten Nachmittag zusammen & reden, über alles, was uns  gerade in den Sinn kommt, lachen & haben Spaß. Das sind Momente, in denen ich völlig vergesse, dass es eigentlich gar nicht meine richtige Familie ist. Meine Schwester ist wie meine wirkliche Schwester, die ich in Deutschland nicht habe & meine Mutter  obwohl 25 Jahre älter, wie meine andere große Schwester. Mein Vater arbeitet viel & ist eigentlich ein  sehr ernster Mann, aber mit mir taut er dann auf. Wir verbringen manchmal Stunden damit, Musik  auszutauschen, & über Politik zu reden. Der Rest meiner Familie ist genauso, mit jeder Person habe ich etwas anderes gemeinsam & weil alle  total offen sind auch überhaupt keine Probleme. Wenn ich ihnen sage, wie sehr ich sie liebe, fangen sie vor Rührung an zu weinen & sagen, dass sie  mich jetzt schon vermissen. Generell, emotional gesehen liegen hier die Gefühle einfach nur blank. In  der Familie gab es von Anfang an keine Hemmschwelle über etwas zu reden, einfach weil es sein  musste, gezwungenermaßen. Da habe ich dann gemerkt, dass das auch überhaupt kein Problem ist. Mit meinen Freunden hier ist es dasselbe. Es ist nicht einfach, aus den 250 Leuten die ich ungefähr an  meinen ersten beiden Schultagen kennengelernt habe genau die herauszusuchen, die einem ein Jahr  begleiten können & mit denen man eine tiefere Verbindung hat. Man ist von Anfang viel offener und  erzählt viel mehr von sich. Natürlich weil alle sehr viel neugieriger sind als in Deutschland aber auch viel  offener, & alles beruht auf Gegenseitigkeit. Mit den Austauschschülern meines Distrikts ist es genauso, uns geht es alles gleich & wir fangen alles  bei null an. Was im Flugzeug begonnen hat, geht hier genauso weiter, wir brauchen uns einfach alle, um Erfahrungen auszutauschen, zu vergleichen & gemeinsam dass unglaubliche Gefühl zu genießen, dass  wir hier haben. Nach unserem Kennenlern-Wochenende in Barquisimeto, einer anderen Stadt, haben wir schon angefangen, uns zu vermissen & feuen uns jetzt alle super auf unsere Reise in die Anden. Man lernt einfach nicht nur die venezolanische Kultur, sondern auch die der anderen Austauschschüler  kennen. Mich fasziniert einfach alles an diesem Land. Dass die Leute in der Supermarktschlange anfangen zu tanzen, weil gerade nichts anderes zu tun ist. Dass man manchmal eine halbe Stunde braucht, um vom Schuleingang bis in die Klasse zu kommen,  weil alle einen begrüßen & mit einem reden. Dass die Leute einen auf der Straße anreden, & fragen, ob sie ein Foto von meinen Ugen machen  dürfen.   Dass wildfremde mich ansprechen, ob ich etwas auf meiner Sprache sagen kann. Dass alles viel einfacher geht, weil es hier das Wort Stress nicht gibt. Dass alles immer irgendwie  funktioniert, auch, wenn es in einer Weise ist, die man nicht erwartet hat. Dass man aus der Tür geht, & das erste was man sieht, sind riesengroße Schmetterling, in allen Farben des Regenbogens. Dass man einfach auf eine Palme klettern & sich Bananen, Orangen & Früchte  pflücken kann, die es in Deutschland nicht einmal im Lexikon gibt. Dass die Sonne hier jeden Tag scheint & immer Sommer ist. Dass ich 10 fahren muss, um auf einem Berg hoch über meiner Stadt zu sein, & einen wahnsinnigen  Ausblick zu haben. Dass die Wolken hier jeden Tag eine andere Form haben. Dass hier Schwärme von Papgeien über meinen Kopf fliegen, wenn ich eigentlich nur mal grade joggen  bin. Dass die Leute hier glücklich sind. & ihr Leben einfach nur genießen, egal wie schlecht es ihnen in  europäischen Augen geht. Das alles & noch viele, viele andere Dinge. Jede gute aufzuzählen ist unmöglich. & die schlechten sind auch nur eine weitere Erfahrung. November & Dezember Die Schule ist wie zu Beginn, es wird nur einfacher, weil ich mehr vertsehe. Meine Familie ist immernoch unheimlich liebevoll, und mittlerweile lassen sie mich auch mehr Dinge  alleine tun. Sie wissen, dass ich mich an das Leben hier gewöhnt habe. Ich bin vollständiges Mitglied der Famlie, meines Freundeskreises, Meiner Klasse und der Gesellschaft. Der anfängliche Luxus ist vorbei,  jetzt muss ich auch Dinge tuen, die ich eigentlich nicht unbedingt wollen würde, zum Beispiel meine  Tante und meinem Onkel im Krankenhaus besuchen, muss auch mal am Wochenende zu Hause bleiben und habe ab und zu kleine Auseinandersetzungen. Ein normales Familienleben in einer fremden Familie. Nun ja, in einer EHEMALS fremden Familie.  Generell lebt man jetzt einfach. Man baut Freundschaften auf, Freundschaften gehen kaputt, man lernt  neue Leute kennen, lernt andere Seiten der alten Leute kennen. Man kennt Dinge, die andere nicht  kennen, man erlebt Dinge, die hier vielleicht erzählenswert sind, weil sie aus der Routine herausstechen, aber generell eher unbesonders sind. Der Unterschied generlee ist lediglich, dass man hier immer vor Augen hat, dass alles endlich ist. Das  macht vieles einfacher, manches aber auch schwieriger. Was hier sicher immer erwähnenswert hier ist, ist die Politik. Unglaublich, wie präsent sie sein kann, und wie polarisierend. Chavez ist einfach...Chavez. Einen Morgen wurde ich von meiner Mutter mit den Worten „Marie, steh auf, schau die Nachrichten.  Endgültig: Willkommen in der kommunistischen Diktatur.“ Was passiert war? Er hat sich für 18 Monate  das alleine Recht auf alles verliehen, Exekutive, Legislative, Judikative und Militär. Zu Weihnachten  verteilte er Puppen mit seinem Kopf an Überflutungsopfer im ganzen Land. Klar, so eine Puppe hilft viel  mehr als Nahrungsmittel oder Geld. Venezuela ist das Land mit der höchsten Infltaionsrate der Welt, 35%. Die Importawaren sind ab dem 06. Januar doppelt so teuer, für die Menschen hier quasi unbezahlbar. Ich habe seit dem 6. Dezember Ferien & vielleicht auch noch bis zum Februar, weil der Unterricht  suspendiert wurde. Alles Dinge, die er sich zuzuschreiben hat... Im November hatten wir unsere erste Reise mit Rotary, nach Merida, in die Anden. Es war fantastisch.  Allein schon, die anderen aus den anderen Städten wiederzusehen, dann diese wunderbare Gruppe und  dann die Reise an sich. Viel Zeit im Bus, aber das war okay, so hat man die Landschaft kennengerlernt und da wir 24 sind wird  es auch nicht langweilig. Wenn doch, wurde die Musik aufgedreht und getanzt, beim Fahren, im engen  Bus. Wir sind wohl doch mittlerweile zu einem Teil venezolanisch. Wie haben viel gesehen, viel Kultur dieser Region und das allerwichtigste: wir hatten unglaublich viel  Spaß. Das beste war das Rafting im Staat Barinas, mit der zugehörigen Bleibe. Mitten im Dschungel, fünf Minuten von einem Wasserfall entfernt, eine offene Hütte mit Hängematten. Es war wie in einem Urlaubsprospekt von genau den Urlauben, von denen man weiß, das man sie sehr  wahrscheinlich nie machen wird. Wir durften ihn machen. Und wir durften einen der drei weltbesten  Flussabschnitte für Rafting besuchen. Die Rückfahrt war das schlimmste, weil wir wussten, dass wir  einige erst in 2,5 Monaten wiedersehen werden. Aber auch das war immerhin positiv schlimm, wir hatten uns ziemlich lieb gewonnen. Nach meiner Ankunft aus Merida wurde zu Hause dann der Baum geschmückt. Am 21. November. Und meine Familie meinte, sogar das wäre noch spät. Natürlich, die  Weihnachtssachen wurden schließlich schon seit Anfang Oktober verkauft. Es fühlt sich generell aber nun einmal ziemlich merkwürdig an, im Bikini die Weihnachtsdekoration  aufzuhängen. Die Adventszeit begann, und es war als würde man einen x-beliebigen Monat des Jahres  auswählen und sagen, jetzt könnten wir doch mal Adventszeit feiern. Den ersten Advent habe ich im  Schwimmbad verbracht, und generell war der Dezember der bisher heißeste Monat. Das macht  allerdings nicht so viel, weil die Menschen im Dezember sowieso eher für die Nächte leben, es ist eine  einzige große Fiesta, eine einzige große Reunion und ein einziges Verbrennen von Schießpulver. Von  der deutschen Ruhe, Besinnlichkeit und Frieden nichts zu spüren, überhaupt gar nichts. Die ganze Familie kommt zu Besuch, aus allen Teilen Venezuelas, Kolumbien und Mexiko. Wenn wir uns alle treffen sind wir 53. Weihnachten ist nun mal die Zeit, die man mit seinen liebsten teilt. Das Ganze geht vom ersten Dezember bis zum sechsten Januar. Und danach findet in meiner Stadt für  einen Monat die „Feria“ (Kirmes) statt. Man kann sich, glaube ich, gut vorstellen, wie momentan das  Leben hier läuft, es ist chaotisch, laut, hektisch und glücklich. Die Weihnachtstage habe ich mit einem Teil meiner Familie in einem so genannten „Casa de Campo  verbracht, ein Landhaus in den Anden, eine Art Wochenenendhaus, das s die Menschen aus der  Großstadt zum erholen nutzen, und um ein bisschen Natur zu haben. Man tut dort eigentlich nichts,  spielt Karten, schläft, isst, liest mal ein Buch, geht spazieren und atmet die saubere Luft ein. Es ist  wunderbar, wenn man meint, dass die Stadt einen irgendwann noch erdrückt. Natur ist in Großstädten  nun einmal nicht sehr präsent, man braucht dann irgendwie einen Ausgleich. Silvester war ich mit meiner Familie zusammen, alles, 65 Personen, in dem Haus meiner Tante, hoch  oben über San Cristobal. Wir hatten quasi die VIP-Karten für die Feuerwerke, es war wunderschön. In  solchen Momenten ist man so glücklich, dass man schon wieder traurig ist, weil man sie nicht mit den  Menschen teilen kann, die einem am meisten bedeuten. Aber in meinem Herzen bewahre ich sie, um sie wenigsten in Worten näher zu bringen, das Gefühl das ich hatte und die Gedanken im Kopf. Alles in allem ist der Dezember nicht die leichteste Zeit im Austausch. Es ist ALLES anders, nicht eine  Sache, an der man sich festhalten könnte, die einem vertraut ist. Man wird relativ heftig aus seinem 16-  järigen Ablauf gerissen, und natürlich ist es auch für meine Familie nicht sehr leicht gewesen, ohne ihre  Tochter zu feiern. Sie sind jeden Morgen mit Tränen in den Augen aufgestanden, und dass ich diejenige  sein musste, die stark ist, hat mich von meinem eigenen Gedanken abgelenkt. Letztendlich geht alles  vorbei.   Man denkt, 2011 fahr ich zurück. Jetzt haben wir 2011. Die Zeit vergeht jetzt schneller. Und deswegen  will jeder Moment genossen werden, denn ich muss sagen, ich habe meine zweite Heimat gefunden.